Drittes Erkundungsgebiet: Ifetesene-Massiv
Gegenüber der gewaltigen Felsbastion, dem Teffedest, der von der alpinen französischen Expedition zum Hoggar (wird auch „Ahaggar“ genannt) 1935 bestiegen wurde, erhebt sich das Ifetesene-Massiv bis zu einer Höhe von 1700 m über NN. Am 1. Febr. 1967 errichten wir unser Lager am Fuße des Adrar Tidafli. In gewaltigen rot-braunen Platten, die kaum durch einen Riss gestört sind, bauen sich die Gipfel des Ifetesene-Massivs auf. Der Fels ist in Form, Farbe und Festigkeit ein Zwischending von Sandstein und Granit.
Lenz und Sepp versuchen über den Südgrat den Adrar Tidafli zu besteigen. Ich mache mich mit Kunz (Jürgen Künzel), unserem Koch, auf den Weg. Unser Ziel ist ein Doppelgipfel nördlich des Adrar Tidafli. Über großflächige Felsplatten, die eine Neigung von 35 Grad aufweisen, kommen wir dem ersten Gipfel schnell näher. Die gekörnte Oberfläche des Fels erlaubt selbst bei dieser Steilheit noch eine Fortbewegung ohne Zuhilfenahme der Hände. Etwa 100 m unterhalb des Gipfels steilt sich der Fels auf. Mit unserer bisherigen Technik ist es zu Ende. Nach einigem Suchen bietet sich ein Riss zum weiteren Anstieg an. Den einen Fuß Im Riss verklemmt, mit dem anderen an der Felsplatte nach Widerstand suchend, schiebe ich mich hoch. Nach 30 m neigt sich der Riss zurück. Ein paar Meter noch, dann dringt ein U-Haken in den Fels, der im Gegensatz zu unserem ersten Erkundungsgebiet wesentlich fester sitzt. Da der unmittelbare Weiterweg nicht einladend aussieht, quere ich vom Ende des Risses nach links. Durch einen versteckten Kamin ist der Gipfel zu erreichen.
Auch Hammerstiele brechen…
Zum zweiten Gipfel gelangen wir nach einem kurzen Abstieg in die Scharte zwischen beiden Gipfeln. Ein Quergang in die Westflanke bringt uns zu einen Kamin. Über diesen steigen wir zum Gipfel auf. Vor uns baut sich der Adrar Tidafli mit glatten, abweisenden Felsmauern auf. Im Hintergrund hebt sich matt aus dem durch die Hitze des Tages entstehenden Dunst, der Teffedest mit seiner höchsten Erhebung, dem Garet el Djenoun hervor. Wir seilen uns in eine Rinne ab, über die wir die Ebene der Wüste erreichen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit sind wir wieder im Lager. Lenz und Sepp gelang die Besteigung des Adrar Tidafli. Ferner konnten sie einen südöstlich des Tidafli gelegenen Gipfel besteigen. Am nächsten Tag überschreiten Lenz und Kunz drei an das Ifetesene-Massiv anschließende Gipfel. Sepp und Alfred besteigen einen Nachbargipfel dieser Gruppe. Am Abend kommt Lenz mit einem abgebrochenen Hammerstiel am Lager an. Dies ist nicht das erste Mal. Durch die geringe Luftfeuchtigkeit trocknet das Holz aus, wobei die Zähigkeit der Holzfasern stark nachlässt. Ein fester Schlag, und schon hat man den Hammerstiel allein in der Hand.
Mit dem Besteigen der Gipfel des Ifetesene-Massivs im Nord-Hoggar findet die Reihe der Erstbesteigungen sein Ende. Wir wollen nun noch dem Atakor-Gebirge im zentralen Hoggar einen Besuch abstatten. Erstbesteigungen sind dort keine mehr zu machen. Unser nächstes Fahrtziel ist die Oase Tamanrasset.
Viertes Erkundungsgebiet: Der Ilimane im Assakrem-Plateau
Der zentrale Hoggar erhebt sich in der Atakor-Gruppe bis zu 2800 m über NN. Bergsteiger verschiedener Nationen haben diesem Gebirge bereits einen Besuch abgestattet. Besonderer Beliebtheit können sich dabei die Berge der Assekrem-Region rühmen. Der Ilamane, ein freistehender Gipfel auf dem Assakrem-Plateau, gilt als der schönste Berg des Hoggar. Ihn wollen wir zum Abschluss unserer Erkundungsfahrt noch besteigen.
Mit unseren voll beladenen Fahrzeugen können wir die schwierige Bergstrecke, die ausgehend vom Tamanrasset in nordöstlicher Richtung die Berge des Atakor durchzieht, nicht schaffen. Zu dritt mit einem Bus, der von allem unnötigen Ballast befreit ist, geht‘s durch Bachläufe, Furte und Bergpässe dem Ilamane entgegen.
Am Morgen des nächsten Tages besteigen wir den Ilamane über seine Nordostkante. Der als Granit bezeichnete Fels ist einigermaßen fest, jedoch mit dem Granit des Bergell oder des Mont Blanc nicht zu vergleichen. Die Kante führt in schöner Kletterei nach einer Stunde zum Gipfel, der von einem mannshohen Steinmann geschmückt wird. In jeder Felsplatte des Steinmanns sind die Namen sowie die Zugehörigkeit des Alpenclubs der Bergsteiger eingemeißelt, die diesen Gipfel bestiegen haben.
Ein kurzer Rundblick zu den Bergen des Assekrem-Plateaus. Es ist zugleich ein Abschiednehmen von den Bergen der Sahara, die uns in den letzten Wochen trotz ihres verschlossenen und abweisenden Aussehens vertraut geworden sind. Mit dem Abseilen über den Nordost-Grat entschwindet für uns eine Zeit voller Erlebnisse in den Bergen eines fremden Kontinents.
Übersicht der Gipfelbesteigungen
1. Gebiet: In der der Tasedjebest-Gruppe des Tassili n‘Ajjer wurden insgesamt 41 Gipfel mit Höhen zwischen 1400m und 1680m bestiegen
Zeit: 21.-27. Jan. 1967
2. Gebiet: Am Tin Tarha im westlichen Tassili n‘Ajjer wurden insgesamt 18 Gipfel mit Höhen von ca. 1800m bestiegen
Zeit: 29.-31. Jan. 1967
3. Gebiet: Im Ifetesene-Masiv des nördlichen Hoggar wurden insgesamt 8 Gipfel mit Höhen zwischen 1450m und 1680m bestiegen
Zeit: 1.-3. Feb. 1967
4. Gebiet: In der Atakor-Gruppe des zentralen Hoggar wurde der Ilamane mit 2763m bestiegen.
Zeit: 5. Feb. 1967
Zusammenfassend ist zu sagen, dass die in den ersten Erkundungsgebieten bestiegenen Gipfel allesamt Erstbesteigungen waren. Nur der Ilamane im Atakor-Gebirge wurde schon öfters bestiegen.
Rückreise mit Hindernissen
Unsere bergsteigerische Aufgabe ist erfüllt. In Tamanrasset werden die Fahrzeuge und einige Reservekanister aufgetankt, dann geht's auf der Hoggarpiste, einer der bekanntesten Saharapisten, nach Algier. Diese Piste ist im Gegensatz zu den zurückgelegten Strecken in der Sahara gut unterhalten. Damit liegt der schwierigste Teil für die Fahrzeuge hinter uns.
Die VW-Busse haben beim Durchqueren der Flugsandgebiete und auf den Bergstrecken des Tassili n‘Ajjer und Hoggar eisern durchgehalten, doch jetzt treten die ersten Schäden auf.
In der Arak-Schlucht zieht sich die Hoggarpiste von der Höhe des Mouydir hinab in die Ebene der Wüste des Erg Mehedjibat. Hier, 1600 km vor Algier, wo sich der nächste VW-Service befindet, stellt sich bei einem Wagen ein Getriebeschaden ein. Der zweite Gang fällt immer heraus, wenn man den Schalthebel nicht festhält. Beim Anfahren - oder wenn man Gas wegnimmt - gibt es im Getriebe einen hörbaren Schlag. Die Ursache könnte nur mit dem Ausbau des Motors festgestellt werden. Das hilft uns aber nichts, da wir, auch wenn wir den Schaden finden, keine Ersatzteile hätten. Außerdem wird bei der Überprüfung des Wagens festgestellt, dass ein Federblatt (die Verbindung zwischen Federstab und Hinterachse) in der Halterung abgebrochen ist und nur noch mit einer Schraube an der Hinterachse hängt. Da wir auch dafür kein Ersatzteil haben, wird diese Schraube so fest wie möglich angezogen. Dadurch entsteht eine Klemmwirkung, die die evtl. auftretende Belastung aufnimmt.
Die Fahrt wird trotz dieser Schäden fortgesetzt, da nur im besiedelten Küstengebiet im Bereich der großen Städte Algier und Oran mit Hilfe zu rechnen ist. Ab Oase El Golea führt eine Teerstrecke durch das schneebedeckte Atlasgebirge: noch 900 km bis Algier. Kurz nachdem wir diese Teerstraße erreichen, fällt beim zweiten Fahrzeug die Kupplung aus. Die Kupplungsdruckscheibe ist dreimal gebrochen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die 900 Kilometer zum nächsten VW-Service ohne Kupplung zurückzulegen. Die beiden Busse stellen aufgrund Ihrer Mängel auf den Passstraßen des Saharaatlas und des Antiatlas hohe Anforderungen an unsere Fahrkunst.
Nach zweitägiger Fahrt erreichen wir Algier. Der Bus mit dem Kupplungsfehler wird in Ordnung gebracht. Am Fahrzeug mit dem Getriebeschaden machen wir nichts, da dieses nach unserer Erkundungsfahrt aus dem Verkehr gezogen wird und sich das Getriebe auf den 1600 km von Arak bis Algier nicht wesentlich verschlechtert hat.
Mit drei Zylindern nach Wildenwart?
Über Oran, Oujda, Fes und Meknès fahren wir nach Tanger. Von dort bringt uns ein Fährschiff über die Meerenge von Gibralta nach Algeciras im Süden der iberischen Halbinsel. Ein Motorschaden in Spanien zwingt uns, die 500 km von Salamanca nach San Sebastian mit drei Zylindern zurückzulegen. Ein Zylinder ist durchgebrannt. In San Sebastian können wir in einer kleinen VW-Werkstätte einen alten Zylinder samt Kolben für 20 Mark erstehen. Die Reparatur führt Lenz selbst durch.
Auf der weiteren Rückreise treten bei den Fahrzeugen keine weiteren Schwierigkeiten mehr hinzu. Selbst der Bus mit dem Getriebeschaden hält durch. Am 28. Febr. 1967 treffen wir wieder in Wildenwart ein. Unser Vagabundendasein hat ein Ende gefunden. Bleiben wird die Erinnerung an Tage der Ungewissheit, des Wagnisses und voller überraschender Eindrücke in den endlosen Sandwüsten der Sahara.